Kapitel 19


2004-7-6

Luci ist kalt. Sie fühlt sich alleine. Und langsam wird sie richtig müde. Das alles war etwas zuviel für sie. Alleine, hier im vom Mond hell erleuchteten Speisesaal, kommt sie sich ziemlich hilflos vor. Also steht sie auf und macht sich auf den Weg zu ihrem Schlafsack. Hoffentlich schlafen die Eltern schon, dann können wir wenigstens das auf morgen früh verschieben. Zu Essen gibt's hier ja im Moment eh nichts. Einen Augenblick verharrt Luci vor dem Kamin, und wärmt sich an der ersterbenden Glut. Aber auch im großen Saal herrscht eine unheimliche Stimmung. Als ob die Schatten lebendig wären.

"Ess isst anken´m hirr, nickt?"

Die Schatten leben! Luci fährt erschreckt auf und drückt sich mit dem Rücken an den Kamin, bereit, sofort in Richtung Tür auszuweichen. Knapp außerhalb des Lichtscheins kann sie die Umrisse einer untersetzten Gestalt ausmachen. Zwei gelbe Punkte leuchten, wo man die Augen vermuten müßte.

"Hap kein´ Angsst, mein Kint. Du kannst mirr nickt entkomm´n. Du sssuckst, unt ick kann dirr helf´n tapei. Hör auf mick, unt keh bei Nackt. Du wirsst nurr dann finten. Nurr dann wirst du helf´n könn´n."

Mit jedem Wort kommt die Gestalt näher. Die beiden gelben Punkte starren sie hypnotisierend an. Mit ihrem letzten Willen reißt sich Luci los und eilt durch die Tür ins Freie. So schnell sie ihre Füße tragen, rennt sie zu dem Zelt, in dem sie ihre Eltern und ihren Schlafsack erwartet. Doch als sie die Plane beiseite schiebt, findet sie nur ihren eigenen Schlafsack und ihren Rucksack vor. Obenauf ein kleiner Zettel, die Handschrift ihrer Mutter. Luci setzt sich vor das Zelt und läßt die Beine vom Podest baumeln. Das Mondlicht ist gerade ausreichend, um die dünne Handschrift zu entziffern.

Hi Luci!

Dein Dad und ich sind schon abgereist, wir haben ja nur vier Wochen Urlaub, wie Du weißt. Glaub mir, wir haben uns große Sorgen gemacht, als Du nicht mehr aufgetaucht bist. Aber Dr. Sörnson (ein Offizieller hier vom Park) hat uns versichert, daß Dir nichts passiert sein kann. Sonst hätten sie Dich längst gefunden. Die scheinen hier schon Erfahrung mit solchen Sachen zu haben. Auf jeden Fall haben sie uns empfohlen, Deine Sachen liegen zu lassen. Dein Paß und Dein Flugticket sind in Deinem Rucksack, es ist noch drei Wochen gültig. Solltest Du später zurückkommen, werden Dir Dr. Sörenson und Mary bestimmt helfen. Wir haben Dir etwas zu Essen in Deinen Rucksack getan, Mary meinte, Du würdest sicher großen Appetit haben, wenn Du wieder da bist. Grüß die beiden bitte schön von mir. Es klang zwar alles wie Geschichten von verzauberten Plätzen und so, was sie uns erzählt haben, aber irgendwie glaube ich ihnen, daß Du wiederkommst. Paß auf Dich auf, wir lieben Dich

Deine Mom, und

Dein Dad.

Vier Wochen! Mindestens! Und dann nur ein Zettel, in relativ vernünftigem Ton. Luci kann kaum glauben, daß das ihre Eltern sind! Irgendwie ist sie enttäuscht. Fühlt sich allein gelassen. Rabeneltern!

Dieser Park ist wirklich verzaubert, Mom, das darfst Du ruhig glauben. Es muß der Zauber dieses Orts sein, der die Menschen so ruhig und gefaßt sein läßt. Auch Luci kann nicht lange traurig sein. Dazu ist sie auch viel zu müde. Aber das mit dem Essen klingt gut.

Und dann erstmal schlafen, morgen suche ich dann diesen Dr. Sörenson oder diese Mary.

Luci findet die Konserven in ihrem Rucksack und bereitet sich ein bescheidenes Mahl aus Dosenwurst und -kuchen. Kaum schlüpft sie in ihren Schlafsack, als sie auch schon eingeschlafen ist.

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Martin Spernau
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