Kapitel 4


Letzter Schultag. Verabschiedungen. Ja, natürlich schreibe ich dir.

Dann der Streß beim Packen. Früh raus, fünf Uhr! "Der Flieger geht um acht Kind, hast du alles ? Schatz, hast du die Pässe?"

Nach Amerika also. Vier Wochen. Fein, aber müßt ihr Eltern denn unbedingt so einen Streß machen ?

Erst heute ist Ruhe eingekehrt. Der erste Tag in Amerika. Und Ruhe wird Luci die nächsten drei Wochen genug kriegen. Wenn man als 16-jähriges Mädchen zum ersten Mal nach Amerika kommt, ist der Adironjack National Park im Staate New York wohl einer der absolut ruhigsten Orte der Welt.

Na dann, Ruhe also. Immerhin, die Natur hier ist tatsächlich beeindruckend. Und die Eltern lassen sie auch zum ersten Mal seit langem in Ruhe. "Das Angebot an Wandertouren in fast zu umfangreich für die zwei Wochen, die wir eingeplant haben. Wir starten gleich heute. Willst du mitkommen, oder du kommst alleine zurecht, Luci-Schatz?"

"Danke, Mom, aber ich bin noch zu fertig. Ich seh mich hier einfach ein bißchen um." Somit hat Luci den Tag für sich. Erstaunlich wenig Menschen zu sehen. Hat sie nicht in der Broschüre der Reisegesellschaft etwas von 3000 Besuchern zu dieser Jahreszeit gelesen? Wo sind die nur? Die können doch nicht alle wandern, oder?

Das Zeltlager jedenfalls ist völlig verlassen. Eigentlich handelt es sich ja eher um eine Ansammlung von fest "installierten" Zelten, jedes auf einem kleinen Podest. Alles eingebettet in lichten Wald, verbunden durch geschotterte Wege. Kaum vorzustellen, daß hier jede Nacht so viele Menschen schlafen. Aber das wird man ja heute abend sehen. Um neun mit dem Greyhound Bus angekommen, ist es über den organisatorischen Dingen inzwischen doch halb elf geworden. Die Eltern sind fast sofort losgezogen, um sich einer "späten" Wandertour anzuschließen. Nachdem Luci im Bus kaum geschlafen hat, will sie jetzt eigentlich nur ein bißchen die Lage erkunden, was essen, und einen großen Pott Kaffee. Hoffentlich gibt's noch Frühstück! Also auf zum Gemeinschaftshaus. Dem gut beschilderten Pfad folgend, erreicht sie einen flachen Bau, idyllisch in das Wäldchen eingebettet. Hier gibt es einen Kiosk, den Speisesaal und den "Großen Saal", der als Aufenthaltsraum und Ort diverser Abendveranstaltungen dient. Fast wie in einer Jugendherberge. Der große Saal verströmt eine ruhige Atmosphäre, fast wie in einem Blockhaus. Düster und geheimnisvoll. An den Wänden, Bilder von Landschaften zu unterschiedlichen Jahreszeiten, etwas Indianerkunst. Alles eingebettet in tiefe Schatten. Hier drinnen sitzen nur drei alte Damen und spielen irgendein Kartenspiel. Der Inhaber des Kiosk sieht ihnen eine Weile zu, und geht dann wieder nach draußen auf die sonnige Terrasse, zu seinem Liegestuhl. Beim Hinausgehen lächelt er Luci freundlich zu. Der Tag heute ist tatsächlich wie geschaffen für ein Sonnenbad. Entgegen ihrem Vorhaben macht sie sich also ebenfalls auf, ein schönes Plätzchen in der Sonne zu finden. Kaffee und Frühstück sind völlig vergessen.

Natur? Na dann aber richtig! Ein leises Plätschern ist in der Ferne zu hören, ein hübscher Bach vielleicht?

"Nicht die Wege verlassen!" ruft der Mann vom Kiosk freundlich hinter ihr her. Amis. Wie auf diesen Schildern. In drei Sprachen.

Vor was haben die hier eigentlich Angst? Bären, oder was? Hier, in unmittelbarer Nähe der Menschen?

Ohne weiter auf den Weg zu achten, geht Luci auf das Plätschern zu.

Der Boden zwischen den Bäumen ist warm und trocken. Sie hängt sich ihre Schuhe an den Schnürsenkeln über die Schulter. Barfuß geht es sich gleich viel angenehmer. Das trockene Laub raschelt sanft unter den Fußsohlen. In ihrem schwarzen Haar spielt eine zarte Brise. Die Luft ist erfüllt von einem sanften Vogellied. Luci durchquert den kleinen Waldstreifen, und steht bald auf einer sonnigen Lichtung. Eine Wiese neigt sich in sanftem Winkel der Sonne zu. Überall summen Bienen in dem Reichtum an gelben und weißen Blumen. Mitten durch die Lichtung fließt munter ein kleiner Bach. Eingefaßt von großen, flachen Steinen, die warm in der Sonne liegen. Ein besonders großer Findling liegt etwas geschützt und bietet sich geradezu für ein Sonnenbad an. Luci schwitzt. Ihre übliche Freizeitkluft aus enger, schwarzer Jeans und ebensolchem T-Shirt ist nicht gerade das geeignetste für einen solchen Tag. Sie wirft einen scheuen Blick über die Schulter. Schnell schlüpft sie aus ihren Sachen, zögert dann etwas, und streift auch noch den Slip ab. Mit einem entspannten Seufzer breitet sie sich auf dem Stein aus.

Eigentlich mag ich doch gar keine Sonnenbäder, denkt Luci, als sie die Augen schließt. Die Sonne wärmt ihr den Bauch und kitzelt angenehm auf der blassen Haut.


alles Bild, Text und Tonmaterial ist © Martin Spernau, Verwendung und Reproduktion erfordert die Zustimmung des Authors

Martin Spernau
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